Tomasz Kurianowicz: „Die ethischen Grundsätze dieser Zeitung haben mich dazu motiviert, bis ans Äußerste zu gehen“

Liebe Leserinnen und Leser,
diese Wochenendausgabe der Berliner Zeitung ist für mich persönlich eine ganz besondere: Sie markiert das Ende meiner Amtszeit als Chefredakteur der Berliner Zeitung. Am 1. Juli 2022 habe ich den Posten übernommen und damals Ihnen, liebe Leserinnen und Lesern, das Versprechen gegeben, die Berliner Zeitung zur relevantesten Stimme der Stadt zu machen. Nun müssen andere beurteilen, ob mir und meinem Team das gelungen ist. Zweifellos ist in den vergangenen dreieinhalb Jahren die Berliner Zeitung zu einem intellektuellen Fixstern Ostdeutschlands geworden; sie hat Kontroversen ausgelöst und Debatten provoziert; Missstände aufgedeckt und Tabu-Themen verhandelt; sich eingemischt und für Gesprächsstoff gesorgt – sie war streitbar und renitent, so wie es ihre Gründungsväter im Ansatz wollten.
In meiner Amtszeit mussten ich und mein Team uns immer wieder harscher Kritik stellen: Unsere Publizistik sei zu russlandnah, zu rechts, zu links, zu kontrovers. Das war meistens Kritik von außen, von Menschen, die die Berliner Zeitung nicht lesen und gar nicht bemerken, wie divers das Blatt aufgestellt ist, wie polyphon in seinen Perspektiven, wie es sich immer wieder traut, widersprüchliche Positionen offen gegenüberzustellen, ohne immer entscheiden zu wollen, welche davon die richtige ist. Diesem Prinzip lag ein immanenter Zweifel zugrunde: der Zweifel an der einzig richtigen Wahrheit. Als Chefredakteur hieß diese Strategie auch, Widerspruch auszuhalten. Manchmal wurde ich in Leserbriefen morgens als Transatlantiker, abends als Russlandversteher beschimpft; manchmal als Covid-Leugner, manchmal als verblendeter Impfenthusiast.
Die überwältigende Mehrheit verstand jedoch den Ansatz, bedankte sich für die offene, kritische Berichterstattung, für die Debattenvielfalt, die keiner Ideologie blind nachläuft, sondern von der Lust am Erkenntnisgewinn angetrieben wird. In meiner Arbeit als Chefredakteur haben mich die ethischen Grundsätze dieser Zeitung dazu motiviert, bis ans Äußerste zu gehen: die Überzeugung von der Gewaltfreiheit, und dass ein kontroverser Austausch von Positionen dabei hilft, Interessen friedlich auszutarieren und für einen Ausgleich zu sorgen. Ich bin heute überzeugter denn je, dass wir in einer polarisierten Zeit den gesitteten Streit umso dringlicher pflegen, andere Haltung verstehen und sie offen diskutieren müssen, wenn wir weiterhin in einer demokratischen und zivilisierten Gesellschaft leben wollen. Die Berliner Zeitung ist der Ort, um dies zu tun. Ich bin mir sicher, dass die nächste Chefredaktion, angeführt von Philippe Debionne, diesen Anspruch weiter ausbauen und einlösen wird. Ich wünsche dem neuen Führungsteam von Herzen alles Gute.
Bedanken möchte ich mich bei meiner mutigen Redaktion, den vielen klugen, streitlustigen und engagierten Redakteuren, meinen Ressortleitern, dem Grafik- und Layout-Team, den Korrektoren, dem Print-Team, der Verlagsleitung, darunter Christoph Stiller – und insbesondere meinem stellvertretenden Chefredakteur Moritz Eichhorn, an dessen Geist ich meine eigenen politischen Überzeugungen reiben und prüfen konnte. Ebenso möchte ich mich bei Daniel Cremer bedanken – für die Unterstützung in den vergangenen Monaten. Ein ganz besonderer Dank gilt dem Herausgeber der Berliner Zeitung, Dr. Michael Maier, der mir einen neuen Blick aufs Weltgeschehen eröffnete, und ganz besonders Silke und Holger Friedrich, die mir das Vertrauen schenkten, die Geschicke dieser traditionsreichen ostdeutschen und heute gesamtdeutschen Tageszeitung lenken und prägen zu dürfen. Den beiden Verlegern ist es zu verdanken, dass die Berliner Zeitung vitaler ist denn je. Würde die Berliner Zeitung nicht existieren, man müsste sie erfinden.
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